Dann gibt es nur eins! – Konzeption

Konzeptioneller Entwurf für ein theaterpädagogisches Jugendprojekt zum Themenkomplex >Sprache, Ausdruck, Ausgrenzung und Alleinsein< anhand DRAUSSEN VOR DER TÜR von Wolfgang Borchert

 

Konzeptionskurzfassung

Das Schicksal des Kriegsheimkehrers Beckmann, welches Borchert in seinem Drama DRAUSSEN VOR DER TÜR schildert, dürfte literaturgeschichtlich unter der Bezeichnung >Trümmerliteratur< allgemein bekannt sein. Bei einem Teil der Bevölkerung jedoch, insbesondere jener, die erst vor kurzem in unserer Kultur angekommen sind, kann dieses spezielle Wissen aber nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Angesichts der blühenden Landschaften in Deutschland ist kaum anzunehmen, dass vor nicht allzu langer Zeit - was sind schon 70 Jahre? - auch hier ähnliche Erlebniswelten anzutreffen waren wie solche, die Flüchtlingen heutzutage gleichfalls widerfahren. DRAUSSEN VOR DER TÜR beschreibt diese Erfahrung der Ausgrenzung und des Alleinseins nahezu idealiter sowohl historisch wie biographisch als auch gegenwärtig aktuell.

So gesehen, ist es keineswegs zufällig, in Borcherts Text Spuren des Themas Flucht zu entdecken. Doch jener Fährte wird an dieser Stelle nicht als Reflexion der Öffentlichkeit tagesaktuell-politisch sondern theaterpädagogisch nachgegangen. Ausgrenzung und Alleinsein ist nicht nur eine Erfahrung von Flüchtlingen in Deutschland, sondern ebenso präsent als Phänomene der Adoleszenz. Eine sekundäre Zielgruppe des Vorhabens, geflüchtete Jugendliche, ist also inhaltlich-konzeptionell von zwei Seiten gefasst. Somit schließt sich hier der Kreis zum Kriterium des Sozialbezugs. Allein mangels sprachlicher Verständigung, historischem Wissen, persönlichem Schicksal erleben Jugendliche aus diesem Spektrum der Bevölkerung soziale Benachteiligung.

Durch fachkundige Anwendung einer kreativer Methodentheorie und Theatertechniken, die sowohl dem klassischen Schauspiel wie der Performance Art entnommen sind, wird den Teilnehmenden das Thema als ästhetische Erfahrung vermittelt und derart angeleitet, können sie sich mit historischem Wissen einerseits und biographischen Erlebnissen andererseits auseinandersetzen. Bei den ersten fünf Treffen steht die Vorstellung des Themas durch Präsentation des Hörspiels (in Teilen) samt anschießendem Gruppengespräch im Vordergrund. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass versucht wird, eine persönliche Beziehung der Teilnehmenden zum Thema aufzubauen, indem die Erlebniszusammenhänge dieses Ereignisses als Ganzes protokollieren werden. Diese Form der Darbietung des Themas gestattet in der Betonung auf den non-verbalen Aspekt des Hörspiels, der sich über die Stimmen und Stimmungen überträgt, auch solchen Jugendlichen den Zugang zu Borchert zu eröffnen, die wohl dem sprachlichem Verstehen, aber nicht des Lesens in deutscher Sprache mächtig sind. Nach theaterpädagogischer Anleitung könnten beispielsweise in einem ersten Versuch verwandtschaftliche Verhältnisse der Bühnenfiguren zu einander oder zu einem selbst durch die Teilnehmer nachgestellt werden.

Wie gesagt, diese Phase dient der Einführung ins Thema sowie darstellendes Spiel als theaterpädagogische Methode zu etablieren. Auch wenn die Präsentation des gesamten Hörspiels zum Ende hin anvisiert ist, sind aber diese Treffen weiterhin offen und frei zugänglich konzipiert. Um auch neue Teilnehmern für das Vorhaben zu interessierten, regt die Leitung die Gruppe zu Beginn dazu an, vorher Geschehenes kurz wiederzugeben, im Zuge der Entwicklung mit immer mehr theatralen Mitteln. Ebenso wird die Textvorlage jedes mal neu ausgeben. Vorherige Teilnehmer hatten Gelegenheit diese mit ihrem Namen zu markieren. So wäre der Einstieg in diese Phase jederzeit sichergestellt und gewährleistet, dass alle Teilnehmer stets über die textliche Vorlage verfügen, die während der Durchführung des Projekts als Ort für persönliche Notizen fungiert.

Als zweite Phase folgt, dass mittels performativer Auseinandersetzung mit der Bühnenfigur Beckmann sich den Jugendlichen hier die Gelegenheit bietet der Begegnung von historischem Wissen und biographischer Erkenntnis, was interkulturellen Austausch anregt. Konkret heißt das, dass hier der Frage nachgegangen wird, wie sich das geschriebene Wort in Stimmsprache verwandelt? Durch theaterpädagogische Mittel werden die Teilnehmer in Übungen u.a. dazu angeleitet, ihre eigene Stimme als ästhetische Erfahrung performativ wahrzunehmen. Das meint hier aber nicht die ästhetische Anwendung jener Kunstgattung als solches, sondern den Aufriss von ästhetischer Erfahrung als konstituierendes Element. Im Streben und Suchen nach Tatsächlichkeit erfahren die Teilnehmenden die Erlebniswelt der Bühnenfigur Beckmann sowohl historisch gebrochen wie biographisch gespiegelt. Derart angeleitet, bieten theaterpädagogische Methoden den Jugendlichen in der performativen Auseinandersetzung mit dem Thema entsprechende Mittel, um den Stoff in dieser Form zum Ausdruck zu bringen. D.h., ihre Betroffenheit wäre zwar der emotionale Quell der Figur, wobei die Figur aber zugleich Distanz zur eigenen Person schafft. Beckmann gehört nicht zur Gruppe der Flüchtlinge, die in seiner Zeit vertrieben und heimatlos durch Europa umher irrten. Ausgrenzung und Alleinsein begegnen ihm erst in der Heimat; als emotionale Erlebniswelten sind sich aber beiden Seiten wesensgleich.

Davon ausgehend, dass die Kerngruppe aus ca. 15 Teilnehmern besteht und im Hinblick darauf, dass keine Vorführung vor externer Öffentlichkeit, sondern die Vermittlung von ästhetischer Erfahrung das Ziel des Vorhabens ist, wird zur theaterpädagogischen Aufgabe, dass im darstellenden Spiel die Rolle der Bühnenfigur Beckmann von alle - entweder gleichzeitig oder jeder für sich - zur Vorstellung gebracht wird. Hier haben die Teilnehmer die Wahl, wie sie ihre Anschauungen künstlerisch umsetzen wollen. Ob als Solo oder Szene mit anderen?


Angebotsbeschreibung

für ein theaterpädagogisches Jugendprojekt bei der GfB Duisburg im Zeitraum Jun.-Okt. 2019

Projektinhalt

Das thematische Zentrum diese Vorhabens bildet Borcherts DRAUSSEN VOR DER TÜR. Dabei ist hier keine Inszenierung des Stücks im klassischen Sinne beabsichtigt, vielmehr dient dieser Text als Vorlage für eine performative Auseinandersetzung mit den Themenkomplexen: Sprache und Ausdruck sowie Ausgrenzung und Alleinsein, wie diese bereits zuvor konzeptionell erfasst wurden. Theaterpädagogisches Ziel dieses Vorhabens ist demnach die Vermittlung von ästhetischer Erfahrung, um dadurch den Teilnehmern mit den Mitteln des Theaters einen spielerischen Zugang zur Selbstreflexion zu ermöglichen, diese zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu ermutigen und so zur Festigung als selbstbewusstes Individuum beizutragen.

Zielgruppe

Bedingt durch das Betätigungsfeld des Auftraggebers ist dieses Vorhaben adressiert an individuellsowie sozial-benachteiligte Jugendliche und daher besonders niederschwellig ausgerichtet. Die Wahrnehmung dieser Perspektive zeigt sich bereits darin, dass den Jugendlichen der Inhalt und die Thematik des Stücks nicht über dessen Lektüre erschlossen, sondern methodisch anhand der Produktionswirkungseinheit >Hörspiel-Erlebnis< präsentiert wird. Im anschließend angeleiteten Gespräch über Geschehenes zählt nicht die Lehre von abstraktem Wissen, wie beispielsweise im Deutsch-Unterricht, vielmehr ist hier von Interesse, wie die Handlung des Stücks persönlich erlebt wurde. Dazu werden die Jugendlichen anhand eines Interview-Leitfadens speziell befragt. Die Gruppe besteht aus 24 Teilnehmer*innen, die der Auftraggeber in seiner Jugendsozialarbeit betreut.

Umfang, Dauer und Zielsetzung

Für die theaterpädagogische Arbeit in der Praxis mit den Teilnehmern sind 40 Stunden zu je 4 Stunden pro Woche veranschlagt. Die konkrete Durchführung des Vorhabens läuft über eine Dauer von 10 Wochen. Gerade in Anbetracht der eher geringen Vorbildung der Zielgruppe erweist sich diese Stundenaufteilung als zweckmäßig, um die Teilnehmer zum einen in ihrer Konzentrationsfähigkeit nicht zu überfordern, zum anderen bietet der wöchentliche Rhythmus auch Raum für eine nachhaltige Wirkung der durch theaterpädagogische Arbeit vermittelten Erfahrungen von Erlebnissen, von biographischen Material und historischen Wissen. Die Durchführung als solche lässt sich grob in drei Einheiten untergliedern. Als da wären: Einführung ins Thema anhand spielerischer Körper- und Stimmübungen, Vertiefung der Thematik durch szenische Arbeit anhand theaterpädagogischen Aufgaben zur Figur- und Rollenfindung sowie ästhetisierende Sichtung, Gestaltung und Vorführung der Ergebnisse.

Öffentliche Wirkung

Ob diese abschließende Präsentation dann in Form einer internen Aufführung geschieht oder die erzielten Ergebnisse auch für eine externe Öffentlichkeit relevant sind und diese dafür sogar zu gewinnen wäre oder im Ganzen der Vorführungscharakter beibehalten wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit Gewissheit festlegen. Denn eben darin unterscheidet sich pädagogische und künstlerische Theaterarbeit, dass erstere bei den Teilnehmern auf die Vermittlung von ästhetischer Erfahrung im Produktionsprozess abzielt, während bei letztere die ästhetische Qualität des Produktes als solches zum Ziel erhoben wird. Festhalten lässt sich an dieser Stelle nur, dass Öffentlichkeit im Theater wesentlich ist. Wie diese Öffentlichkeit nun wiederum hergestellt wird, sei es durch die Einbringung von Publikum einerseits oder andererseits durch die Wahrnehmung und Aufgabe des Teilnehmers als Spieler-Subjekt auf der Bühne, in beiden Fällen führt das ästhetische Erleben zu einem veränderten Blick auf die Welt und schließlich auch auf sich selbst, so dass mit dieser Sichtung das kunstpädagogische Potential von Theater begründet ist.


Inhaltsangabe zum konzeptionellen Entwurf

jugendprojekt-nach-borchert-2018.pdf (372,6 KiB)

Inhaltsverzeichnis

  1. Kurzfassung
  2. Skizzierte Projektbeschreibung
    2.1 Zielgruppendefinition
    2.2 Innovation und Modellcharakter
    2.3 Veröffentlichung der Spielvorlag
    2.4 Zielsetzungen (allgemein/speziell)
  3. Thematische Vorstellungen
    3.1 Eigenschaften des Konzepts
    3.2 Vermittlung ästhetischer Erfahrung
    3.3 Tagesaktueller Bezug
  4. Theaterpädagogischer Inhalt
    4.1 Darstellung des Modellcharakters
    4.2 Theaterpädagogik vs. Theatertherapie
    4.3 Anmerkungen zum Komplex >Ausgrenzung und Alleinsein<
    4.4 Anmerkungen zum Komplex >Sprache und Ausdruck<
    4.5 Quintessenz
  5. Öffentliches Interesse
  6. Arbeitsweise
    6.1 Premiere als Probe
    6.2 Zum Auftakt des Vorhabens
    6.3 Produktwirkungseinheit >Hörspiel-Erlebnis<
    6.4 Entwicklungsphasen der Produktion
  7. Produktionsbedingungen
    7.1 Spielleitung und Ethik
    7.2 Aufgabenverteilung
    7.3 Variationen der Realisierung
  8. Kostenschätzung
    8.1 Kalkulationsgrundlagen
    8.2 Übersicht der Ausgaben