Konzeption zur Theatervorstellung

Die Nacht kurz vor den Wäldern von Bernard-Marie Koltès

Inhaltsanalyse

In einer regnerischen Nacht durchstreift ein Mann die menschenleeren Straßen einer Großstadt. Er sucht nach einem Zimmer, wo er seine nassen Klamotten ausziehen könnte, doch die Gewissheit um den schlechten Zustand seines Selbst und seiner äußerlichen Erscheinung hindert ihn daran, danach zu fragen.

Eine feste Bleibe, in die er sich zurückziehen könnte, hat er nicht. Sein Zuhause findet er, indem er sich in einem Hotelzimmer einrichtet, in dem er die Einrichtung des Zimmers immer wieder verschiebt und so lange verändert, bis er darin seine Gewohnheit erkennt und sich nicht mehr fremd fühlt.

Er spricht über all dieses mit einem imaginären Begleiter, den er „Kamerad“ nennt. Ihm vertraut er sich an, offenbart ihm seine Idee von einem internationalen Syndikat zum Schutz derer, die zu schwach sind, um gegenüber dem Clan der Technokraten zu bestehen. Mehr fragmentarisch, denn systematisch gegliedert, weder religiös begründet, noch politisch instrumentalisiert, beinhaltet diese Idee die Negation eines hedonistischen Prinzips, bei dem die Verführung dazu dient, den Einzelnen von sich selbst, von seinen wesentlichen Bedürfnissen, eigentlichen Zielen, wirklichen Wünschen abzulenken.

Gespeist werden diese Überlegungen durch die Erfahrungen eines Fremden, der die Jagd nach persönlichem Wohlstand, gesellschaftlichem Status, beruflichem Erfolg aufgegeben hat. Der kein Verlangen mehr hat, von der Gemeinschaft integriert werden zu wollen; und so führt er ohne Arbeit das Leben eines Außenseiters. Die Unannehmlichkeiten, die aufgrund seiner Mittellosigkeit sein Leben bestimmen, sind für ihn der Preis und Beweis seiner Freiheit. Sein Glück findet er auf einer Wiese, „auf die man sich legen kann, mit dem ganzen Himmel obendrüber.“

Infolge dieser Unabhängigkeit werden ihm Erlebnisse zuteil, die sich jenseits der Zeit, in seinigem All-Tag ereignen. Da ist die erotische Begegnung mit einem Mädchen auf einer Brücke, das sich „Mama“ nennt und das er niemals wiedergefunden hat. Da ist das „unwahrscheinlichste aller Mädchen“, das in ihm den Fremden verkennt und mit ihm und anderen Rechten „Ratten“ jagen will, bis er kurz davor ist, ihr die Fresse einzuschlagen. Da ist die Nutte, die sich im Streit mit ihrem Freier vor dessen Auto wirft und auf dem Friedhof endet, weil sie dort Erde frisst. Da ist in einer öffentlichen Toilette der misstrauische Blick der anderen, als er, wie gewohnt, seine Genitalien reinigt. Da ist die Geschichte vom General in Südamerika, der aus Spaß auf alles schießt, was sich bewegt. Da ist der brutale Raubüberfall in der Metro, als ihn zwei Rocker aus der Bahn zerren und sich durch Schläge seiner letzen Groschen bemächtigen. Und schließlich ist da immer wieder sein Kamerad, mit dem er gerne ein Bierchen trinken würde, solange es regnet.


Inszenierungsansatz

Wer kennt sie nicht, die spleenigen Mitbürger, die mitunter laut schreiend auf der Straße umherirren und zuweilen wild gestikulierend um sich schlagen, die einen ansprechen, ohne wirklich ein Gespräch zu suchen, die einen aufhalten, ohne dass sie im Wege stehen, die Verlassenen, Verstörten, Außenseiter der Gesellschaft. Einen Einblick in das Seelenleben einer solchen Person verschafft Koltès abgründiger Theatermonolog, mit dem ihm beim Festival von Avignon 1977 der große Durchbruch als Dramatiker gelang; und bis heute hat sein Text nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, offenbart werden gerade die wahnhaften Facetten des Modeworts Globalisierung, mit der Idee einer "internationalen Gewerkschaft zum Schutz von Muttersöhnchen“ jedoch ins Absurde verklärt.

Stets auf der Suche nach so etwas wie Heimatgefühl, spricht der Fremde in „Die Nacht kurz vor den Wäldern“ ununterbrochen von sich, ohne sich zu kennen. Extreme Einsamkeit und gleichzeitige Euphorie, Widerspruch und Einheit zugleich; das verspricht ebenso melancholische wie durchaus komische Momente. Atmosphärisch untermalt durch den Klangteppich einer Großstadt bei Nacht.

Den Ausgangspunkt für diese Inszenierung liefert eine kritische Auslegung der existenziellen Befindlichkeit der vorgestellten Bühnenfigur. Hinsichtlicht ihrer Rezeptionsgeschichte ließe sich sogar von einer radikalen Neudeutung sprechen, da bislang das Publikum als ihr fiktives Gegenüber eingesetzt wurde. Demgegenüber wird in dieser Theatervorstellung der Monolog der Bühnenfigur als Selbstgespräch mit ihrem Alter Ego verstanden.

Mit dieser Lesart einher geht dann auch die Gestaltung der Bühnenform, d.h. der offensive Rückgriff auf das traditionelle Guckkasten-Prinzip. Unterstreicht doch dieses Illusionstheater gerade die Existenz einer alltäglichen Gegenwelt, die für die Bühnenfigur jedoch alleinige Realität ist.

Die eingespielte Klangkulisse soll dann auch nicht, wie bei anderen Inszenierungen bereits geschehen, jeweils die Seelenstimmung der Bühnenfigur widerspiegeln, sondern folgt inhaltlich der Logik des Bühnengeschehens, um so ein Höchstmaß an Authentizität zu erreichen.

Ziel ist ein konfrontatives Theater mit provokativem Gehalt.


Inhaltliche Thematiken

Als inhaltlicher Themenkomplex kommt einerseits die Bedeutung der Arbeit für die individuelle wie gesellschaftliche Selbstbestimmung in Betracht. Wie frei oder unfrei macht Arbeit? Die Nähe zum Jargon der NS-Zeit ist hier keineswegs zufällig. Thematisiert doch zum einen bereits der Text das Phänomen der Neuen Rechten. Zum anderen sind viele der Vorbehalte gegenüber Obdachlose in der Armutspolitik des NS-Regimes begründet. Gesellschaftliche Entwurzelung und der Begriff des Asozialen werden hier gleichbedeutend definiert: „Wer nicht arbeitet, soll auch nichts essen … Die Euthanasie als gezielte Tötung oder Tötung durch Verweigerung von Nahrung und medizinischer Hilfe wurde mit dem Argument der Volkswirtschaftlichkeit begründet“ (siehe Anke Schulz, Armutspolitik in der NS-Zeit, http://www.geschichtswerkstatt.lurup.de/armut.htm.)

Andererseits bewirkt die spezielle Auslegung der Bühnenfigur in dieser Inszenierung die Vorstellung eines wechselseitigen Zusammenhangs. Denn das Phänomen, eine seelische Störung gerade bei Obdachlosen anzutreffen, ist - statistisch gesehen - außergewöhnlich hoch (siehe http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/schizophrenie_gewalt.html). Letztendlich ist sich die Fachliteratur darin einig, dass insbesondere die Mittellosigkeit der Betroffenen ihre ambulante Behandlung verhindert, so dass nur noch die Einweisung in eine psychiatrische Klinik, was mit Freiheitsentzug einhergeht, als Mittel der Wahl in Erscheinung tritt.

Abschließend sei an dieser Stelle noch auf die Zunahme von Gewalttaten gegenüber Obdachlose (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Obdachlosendiskriminierung#Gewalt_gegen_Obdachlose) hingewiesen.


Marketing

Neben routinierter Pressearbeit, Druck und professioneller Verteilung von Werbematerial (Plakat und Flyer), Anzeigenschaltung und Internetauftritt, zielen die Aktivitäten des Marketings insbesondere auf Fundraising, Sponsoring und PR. Durch angestrebte Kooperation mit Einrichtungen, die sich den beschriebenen Ausgrenzungserscheinungen annehmen, bietet „Die Nacht kurz vor den Wäldern“ gerade solchen Institutionen ein erweitertes Spektrum an Öffentlichkeit, die ansonsten eher nicht auf eine starke Lobby hoffen dürfen. Damit würde sich ihr Engagement über die Grenzen ihres eigentlichen Betätigungsfeldes hinaus publiziert lassen. Insbesondere soll ein regionaler Bezug zu solchen Institutionen hergestellt werden, die im Kölner Obdachlosenbereich aktiv sind. In diesem Sinne vorstellbar wären Benefiz-Aufführungen (z.B. zugunsten der Kölner Tafel), oder freier Einlass für jene Betroffenen, die mit angeführten Einrichtungen in Kontakt stehen.

Erste Schritte in die beschriebene Richtung wurden bereits unternommen. So werden die intensiven Gespräche mit Herrn Leschig und Herrn Lützenkirchen, den Initiatoren des Projekts „Bin ich Arbeit?“, in einer gemeinsamen PR-Kooperation gebündelt. Zudem ist eine Gastspielreihe im Aufführungsnetzwerk von „Bin ich Arbeit?“ angedacht.