FUGA

Suzanne van Lohuizen

Drei Frauen, vermutlich Geschwister, bestreiten ein gemeinsames Dasein. Aufgewachsen als Waisen, suchen sie eine Lösung, um ihrer ebenso unheimlichen wie schicksalhaften Verbundenheit zu entkommen: Brenda, die Älteste, will die Gemeinschaft verlassen. Lieb meidet sie, indem sie ständig ihre Persönlichkeit wechselt. Die Kleine, ganz ihrer Regression verfallen, negiert die Gemeinschaft total. Im Ausleben dieser Strategien konfrontieren sich die Schwestern mit ihren Wünschen, Träumen und Sehnsüchten. Abgründige, erschütternde und verstörende Momente treten zu Tage. Am Ende wird es jedoch rätselhaft, ob der Ausweg eine wirkliche Möglichkeit oder eine mögliche Wirklichkeit ist und/oder bleibt.

Mit der Uraufführung von FUGA im niederländischen Arnheim ließ die Autorin bereits 1987 eine Thematik anklingen, die dann Mitte der 90er Jahre unter dem Schlagwort „Multiple Persönlichkeitsstörung“ einen starken Nachhall in breiter Öffentlichkeit fand. Wurde der Text bislang mit jenem Deutungsansatz inszeniert, schlägt diese aktuelle Theatervorstellung einen neuen Weg zum Stückverständnis ein. Indem das bereits im Stücktitel enthaltene Thema „Flucht“ als Leitmotive bestimmt wird, verschiebt sich die Interpretation von der psychologisierenden Lesung der Frage „Was ist Identität?“ weg, hin zur Auslegung als gesellschaftspolitische Parabel über verdeckte Seiten der heutigen Flüchtlingsproblematik.

Diese Theatervorstellung von FUGA verortet die Flucht-Thematik an einen Strand auf Lampedusa, jener Insel im Mittelmeer, die zum Synonym gescheiterter Flüchtlingsschicksale geworden ist. In einem komplett weiß ausgeschlagenen Bühnenraum liegen auf einem Streifen Sand drei Leichensäcke. Die Flucht ist zu Ende. Die Flüchtlinge haben dafür mit ihrem Leben bezahlt. Da mag es schon äußerst zynisch zumuten, wenn andererseits von einer geglückten Flucht gesprochen wird, wenn also die Flüchtlinge das rettende Ufer erreicht hätten. Denn das Leben des Flüchtlings beginnt hier keineswegs bei Null. Überlebt hat ja nicht nur der Mensch, sondern mit ihm auch seine Lebenserfahrung. Zum einen die Erlebnisse, die ihn zur Flucht motiviert haben, zum anderen ist es das Trauma der Flucht selbst, wodurch sein weiteres Leben bestimmt wird. In diesem Sinne agieren die drei Protagonistinnen, wenn sie als Wasserleichen gezeichnet an jenem weißen Nicht-Ort als Sinnbild des Übergangs wieder erwachen und ihrer Vergangenheit weiterhin nicht entkommen können.

Stilistisch angelehnt an das Theater des Absurden verdichtet Lohuizen alltägliche Floskeln und Gemeinplätze zu einem fugenhaften Sprachgeflecht, und deren fast schon ritueller Gebrauch beschwört eine Atmosphäre der Angst und Beklemmung. FUGA transzendiert somit das Thema „Flucht" ins Utopische, aus dem es kein Entrinnen gibt. Denn auch das Leben selbst ist flüchtig. Sich dessen gewahr zu werden, erscheint als ebenso scheußlich wie notwendig zugleich.

Besetzung / Team

BRENDA Melanie Volberg
LIEB, die Margo ist,
die Freddie ist,
die Alessandra ist,
die Cathérine ist
Silvia Berens
DIE KLEINE Karin Bünnagel
Regie, Bühne, PR Karsten Schönwald
Kostüm & Maske Suzana Schönwald
Licht Vera Grimm, Marc von Kuk
Mitarbeit Kostüm Heinke Stork
Fotos Georg Bleicher

Premiere: 15.04.2016

Theater TIEFROT, Köln

Dauer: 60 Minuten

Aufführungsrechte: Verlag der Autoren, Frankfurt/Main

Eine Koproduktion von Strahler 11 und theater24